Am 20. Dezember 2019, im Laufe der ersten Sitzung des argentinischen Senates nach der letzten Präsidentenwahl, bedankte sich der Senator Mayans am Ende seines Diskussionsbeitrags mit „gracias, Presidente“ (danke, Präsident). Cristina Kirchner, die gerade zur Vorsitzenden des Senats ernannt worden war, korrigierte ihn: „Presidenta, Mayans: Presiden…ta“. Er sollte sie also Präsidentin nennen, nicht Präsident. Darauf bestand sie, auch als der Senator sich zu rechtfertigen versuchte, von dem Wort „Präsident“ sei seiner Meinung keine weibliche Ableitung zu bilden.
Der Vorfall entwickelte sich schnell zu einer digitalen Debatte, bis die Real Academia Española (RAE), die maßgebliche Institution für die Pflege der spanischen Sprache, auf Twitter verkündete, dass die Vorsitzende mit ihrem Anspruch richtiglag. „Wenn auf eine Frau bezogen, ist „presidenta“ die korrekte Form. Diese weibliche Form ist seit dem XV. Jahrhundert im Spanischen dokumentiert und seit 1803 im akademischen Wörterbuch vorhanden“ - so lautete ein Tweet der RAE.
Das Anliegen war in Südamerika in der Vergangenheit schon einmal aufgetaucht. Wie ein Artikel der argentinischen Zeitung „La Nación“ am 4. Juli 1974 berichtete, empfand es die Kolumbianische Akademie als unangebracht, dass die Witwe des General Perón nach dem Tod ihres Ehemannes zur „excelentísima Señora presidente“, (d.h. zur hochverehrten Frau Präsident und nicht Präsidentin) ernannt wurde.
Aus der Anthropologie und der Sprachwissenschaft ist es bekannt, dass die Begriffe einer Sprache die konkreten Bedingungen und Notwendigkeiten der Völker widerspiegeln, die sie sprechen und entwickeln. So haben die Eskimos in ihrer Sprache sehr viele Wörter für „Schnee“, weil dessen Zustand und Eigenschaft lebenswichtig für sie ist. Italiener bezeichnen Nudelsorten durch unzählige Namen - manche unter ihnen empfinden diese Differenzierung auch als lebenswichtig. Genauso ist der zunehmende Anspruch einer Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft in die Sprache eingeflossen und somit zu einer Frage für Übersetzer… und Übersetzerinnen geworden. Doch bei der Angelegenheit einer gendergerechten Sprache geht es weniger um Wortvielfalt als vielmehr um einen tiefen Eingriff in die Orthographie und Grammatik.
Im Englischen hat es bereits eine Wandlung bei der weiblichen Anrede gegeben. Seit den 1970er Jahren wird die Form „Ms“ immer mehr zur Regel – vor allem im geschäftlichen Gebrauch - als Ersatz für die Formen „Mrs“ und „Miss“, die verheiratete von unverheirateten Frauen unterscheiden.
Was tun aber, wenn zum Beispiel in der Quellsprache Wörter in der Mehrzahl neutral dekliniert sind, in der Zielsprache es aber Unterschiede gibt (bei den Endungen oder beim ganzen Wort)? Auf Deutsch passt die Aussage „Sie sind zufrieden“ sowohl für eine Gruppe von Männern als auch für eine Gruppe von Frauen. Bei romanischen Sprachen müsste man sich schon entscheiden, ob „zufrieden“ mit männlicher oder weiblicher Endung übersetzt wird. Um beide Möglichkeiten einzuschließen, entstehen nun Sätze, in denen zahlreiche Wörter am Ende – durch Schrägstrich getrennt – sowohl die männliche als auch die weibliche Endung aufweisen. Das Ergebnis ist nun genderneutral, auch orthographisch und grammatikalisch korrekt. Aber schön ist es nicht. Ein solcher Text wirkt oft schwerfällig und ist schlecht lesbar. Was also tun? Es gibt keine pauschale Antwort auf diese Frage: Übersetzerinnen und Übersetzer werden wohl von Fall zu Fall anhand der Art des Textes beurteilen, ob eine gendergerechte Anpassung angebracht ist oder darauf verzichtet werden kann.
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