Wer mehr als eine Sprache versteht und spricht, hat bestimmt schon einmal die Situation erlebt, in der zwei Menschen sich nicht verständigen können, weil sie keine gemeinsame Sprache sprechen. Als „Hobby-Dolmetscher“ kann man hier helfen und sich danach auch gut fühlen - man hat einen eigenen Beitrag zu einer harmonischeren Welt geleistet, und eventuell sind die zwei Parteien zum gewünschten Ergebnis gekommen. Dieses Gefühl kann man eigentlich noch als „bescheiden“ bezeichnen, wenn man die Tragweite so mancher Dolmetscherleistungen bedenkt. Berühmt unter den Dolmetschern ist die Aussage des norwegischen Politikers Trygve Lie, der im Laufe seiner Amtszeit als Generalsekretär der Vereinten Nationen (1946 bis 1952) zugab: „das Schicksal der Welt hängt heute in erster Linie von den Staatsmännern ab, in zweiter Linie von den Dolmetschern“.
Inwieweit ist dieser Satz heute noch aktuell? Im Blog-Beitrag über maschinelle Übersetzung haben wir bereits einen Blick auf die mächtigen Fortschritte der Technik im Übersetzungsbereich geworfen. Diese kann man auch bei Spracherkennung und automatisiertem Dolmetschen beobachten. Wäre man vor 70 Jahren bereit gewesen, das Schicksal der Welt einem automatischen Dolmetscher anzuvertrauen? Genauso wie im Fall der geschriebenen Texte ist die automatische Verdolmetschung sehr leistungsfähig, es mangelt ihr jedoch noch an typisch menschlichen Fähigkeiten, wie zum Beispiel ein ausgeprägtes Sprachgefühl und tiefe Fachkenntnisse. Zudem werden Dolmetscher oft in Situationen benötigt, in denen zusätzliche Stimmungsfaktoren entscheidend sein können. In einer Verhandlung kann es zum Beispiel wichtig sein, dass Empathie oder Humor korrekt und mit viel Feingefühl übertragen wird. Davon kann das Schicksal, wenn nicht der ganzen Welt, so doch eines Staats oder eines Unternehmens - immerhin vieler Menschen - abhängen.
Die Dolmetschertätigkeit erfordert nicht nur ein hohes Maß an Verantwortung, sondern auch eine extreme intellektuelle Anstrengung. Diese variiert je nach Einsatzart. Es gibt verschiedene Dolmetschertechniken, die für unterschiedliche Situationen mehr oder weniger geeignet sein können. Die Hauptvarianten sind Simultandolmetschen, Konsekutivdolmetschen, Flüsterdolmetschen, Gebärdendolmetschen und Schriftdolmetschen. Sonderformen sind Relais- und Retoure-Dolmetschen. Je schneller der gesprochene Text gehört, verstanden und übersetzt wiedergegeben werden muss, desto intensiver und aufwendiger ist die Arbeit des Dolmetschers. Aus der Neurologie weißt man längst, dass Multitasking eine Illusion ist. Unser Gehirn kann sich nicht wirklich um zwei Aufgaben gleichzeitig kümmern (zum Beispiel: zuhören/übersetzen/sprechen). Diese scheinbare Gleichzeitigkeit ergibt sich nur dank ultraschnellem, wiederholtem Umschalten des Gehirns von einer Aufgabe zur anderen - und zurück. Bei Routineaufgaben, etwa beim Duschen oder bei der Fahrt auf einer bekannten Route, lässt man oft die Gedanken zu anderen Aufgaben schweifen, um sie planend im Voraus zu lösen. Vom Ablauf der Routineaufgabe verbleibt jedoch im Bewusstsein keine Spur. Im typischen Beispielfall hat man während der Heimfahrt schon an die Einkaufsliste gedacht, weiß aber nicht mehr genau, welche Strecke man gefahren ist. Dolmetscher dürfen keine ihrer bisher genannten Aufgaben vernachlässigen, wobei manchmal noch die Bedienung einer Dolmetsch-Anlage hinzukommt. Aus diesem Grund werden in fast allen Fällen zwingend zwei Dolmetscher benötigt, die sich gegenseitig in regelmäßigen Zeitabständen ablösen, um die Erholung des Gehirns und eine Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit zu ermöglichen. Im besten Fall erfolgt der Wechsel wie beim Staffellauf so nahtlos, dass die Zuhörer kaum etwas davon merken.
Angebote für Dolmetscherleistungen verursachen gelegentlich Verblüffung beim Empfänger: Zum Bedarf des Dolmetscher-Doppelpacks gehört, dass deren Vergütung mindestens als Tagessatz berechnet wird, selbst wenn der Einsatz nur einen halben Tag oder weniger dauert. Dies liegt daran, dass Dolmetschen wirklich mit einem Hochleistungssport vergleichbar ist. Vor und nach einem 100 m-Sprint bei den Olympischen Spielen benötigen die Läufer eine Ruhezeit, obwohl die Phase der eigentlichen Leistung an sich ganz kurz ist. So kann sich kein Dolmetscher am gleichen Tag auf zwei verschiedenen Aufträge ausreichend konzentrieren. Die Einarbeitung ist auch noch mit inbegriffen: Professionelle Dolmetscher bereiten sich umfangreich auf den Auftrag vor.
Nach all diesen Erwägungen wird uns klar: Überraschung sollten eher sehr billige Dolmetscherangebote hervorrufen, denn erfahrene Dolmetscher kennen den Wert und die Herausforderungen ihrer Aufgabe sehr gut. Lieber sagen sie einen Auftrag ab, falls die Bedingungen keinen rundum hervorragenden Einsatz ermöglichen.
Deswegen arbeiten wir bei Dolmetscher-Anfragen nur mit kompetenten und bewährten Partnern zusammen, die eine perfekte Ausführung des Auftrags garantieren und sich bei Bedarf auch professionell um die erforderlichen technischen Anlagen kümmern. Damit liegt die Welt unserer Kunden in guten Händen, und sie können sich ganz entspannt zurücklehnen… und zuhören.
Cover photo by Markus Distelrath on Pixabay
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